„Dinge aus der Ferne sichtbar machen“ – was heißt das überhaupt? „Ferne“ ist in beiden Fällen unterschiedlich zu verstehen: Während beim Binokular damit ein durch natürliche Begebenheiten begrenzter Bereich gemeint ist, der auch vom Auge mehr oder weniger gut wahrnehmbar sein muss, ist der „Ferne“ bei der Webcam keine Grenzen gesetzt. Das Gesehene muss nicht einmal im Sichtbereich des Auges liegen. Mit der Webcam ist es möglich, eine Person am anderen Ende der Welt zu sehen, aber auch, die Kaffeemaschine im Nebenraum zu beobachten, um nicht von halbfertigem Kaffee enttäuscht zu werden – was im Übrigen der Grund zur Erfindung der Webcam im Jahr 1991 war. Hinzu kommt, dass zur Webcamnutzung immer zwei Geräte notwendig sind: eines, um zu filmen, und eines, um das Gefilmte sichtbar zu machen. Die Nutzung des Binokulars scheint außerdem aktiver zu sein: Es muss bewusst hinein- bzw. hindurchgeschaut werden. Während es bei der Nutzung der ersten Webcams tatsächlich noch darum ging, ein entferntes Objekt sichtbar zu machen, so dass sie offenbar als Beobachtungsinstrumente eingesetzt wurden, ist ihre Nutzung mittlerweile eher passiv. Zwar bestimmt man selbst über das An- und Ausschalten, letztendlich wird man aber doch gefilmt und beobachtet, zumindest von der eigenen Webcam. Ursprünglich war die Webcam in ihrer Funktion dem Fernrohr also näher als der Kamera, die rein technisch gesehen eines ihrer Vorgängerobjekte darstellt.
Heute sollen Webcams hauptsächlich ihre Besitzer*innen sichtbar machen: Sie wollen gesehen werden. In gewisser Weise leistete das Binokular dasselbe für seine Nutzer*innen – wenn auch auf eine andere Art.